Die Zeit von 1985 bis 1991:
Umbruch, Bruch, Aufbruch

(Dr. Manfred Schechter)

Die JHV vom 2.3.85 brachte erneut einen Vorstandswechsel, Dr. Manfred Schechter wurde zum Vorsitzenden gewählt. Unter seinem Vorsitz - er wurde 4 Male wieder gewählt - mischten wir uns in die Stadtpolitik ein, bei manchen Themen auch ohne die Zustimmung der SPD-Gemeinderatsfraktion.

Wir stritten für 30 km-Zonen in einer Zeit als diese Einrichtung noch nicht zur Grundausstattung der Gemeinden gehörte.

Wir kämpften gegen die große Lösung einer Kreisstraßenverbindung zwischen Leimen und Sandhausen, aber für einen Flächen schonenden Ausbau, für eine Stichstraße zwischen Probsterwald und der L598 und für die Anbindung der L600 an die neue B3; dabei hatten wir uns von Sachverständigen sehr wohl die Realisierbarkeit unserer Lösungen bescheinigen lassen. In dieser Angelegenheit war die Mehrheit der SPD-Gemeinderatsfraktion anderer Meinung.

Wir wehrten uns, zusammen mit den Naturfreunden Leimen und dem BUND erfolgreich gegen die Verfüllung des Leimener Steinbruchs mit Bauschutt und bauschuttähnlichen Stoffen. Ein wertvolles Biotop mit einer einzigartigen Fauna konnte so gerettet werden. Die Belastung des Bodens und die Jahre währende Belästigung der Leimener durch Lärm und Staub wurde verhindert.

Wir setzten uns für die Verbesserung der Qualität unserer Kindergärten ein; erst mit einer Zustandsbeschreibung in unserer Ortsvereinszeitung "Durchblick" kam Bewegung in die Sache.

Wir stritten gegen den Wahnsinn der Ohren betäubenden, wie Angst erregenden Tiefflüge über unser dicht besiedeltes Gebiet; man versuchte damals - es herrschte noch der "kalte Krieg" - den Bürgern zu erklären, daß dieser Terror notwendig sei für unsere Sicherheit.

Wir luden prominente Referenten (Juri Krasnow, Thilo Koch, Frau Engelen-Kefer, Norman Birnbaum, Hermann Scheer, Andreas von Bülow) zu in dieser Zeit aktuellen Themen "Frieden und Abrüstung", "Abfall und Müllverwertung", zum Asylantenproblem und zum Waldsterben ein.

Ein Dauerbrenner war und blieb die Einrichtung eines Jugend- und Kommunikationszentrums, eine freilich bis heute nur ansatzweise gelöste Aufgabe.

Nach dem GAU in Tschernobyl (1986) erlebte eine Veranstaltung zum Thema "Wie sicher sind Kernkraftwerke?" außergewöhnliche Resonanz.

Auch kulturelle Veranstaltungen, die selbst außerhalb Leimens Beachtung fanden, waren geboten, etwa die Autorenlesungen mit Robert Jungk und György Konrád.

Im März 1990, nach der Öffnung der Mauer, noch vor der letzten Wahl zur Volkskammer schloss der Ortsverein eine Partnerschaft mit seinem Pendant von Chemnitz. Bei einem ersten Besuch in Chemnitz – eingeladen vom Volkskammerabgeordneten Dr. Alfred Förster, brachten Michael Kirner und der Vorsitzende Manfred Schechter Material und etwas Geld des Ortsvereins für den Wahlkampf mit. Beide Besucher, Volkswirt der eine, Hochschullehrer der andere, hielten Vorträge über das Wirtschaftssystem bzw. das Hochschulwesen der Bundesrepublik vor Managern der VOBs, Professoren und Studenten. Gut 20 Chemnitzer wurden im Mai herzlich in Leimen empfangen. Übrigens war es Alfred Förster, der im Bundestag (damals noch in Bonn) in Vertretung aller ostdeutschen Abgeordneten ein leidenschaftliches Plädoyer für die Hauptstadt Berlin vortrug.

Langsam setzte sich im Ortsverein die Einsicht durch, dass wir in einer Zeit, in der die Medien das Bild der politischen Landschaft bestimmen, mit gestrigen Ritualen wie Veranstaltungen in Hinterzimmern, Informationsständen oder Plakaten allein die Bürger nicht mehr erreichen konnten.

Wir beschlossen, unser Projekt "Rathaus", das nach einigen Ausgaben um 1980 einen stillen Tod gestorben war, unter dem neuen Namen "durchblick", mit frischem Layout und vor allem frischem Inhalt fortzusetzen. Uwe Kleinert übernahm das ebenso Zeit raubende wie Nerven strapazierende Geschäft des Chefredakteurs.

Diese Zeitung war auch als Gegengift gedacht gegen den Versuch des Bürgermeisters, die bislang unabhängige Berichterstattung der RNZ, die im wesentlichen dem in Leimen beheimateten Redakteur Alfred Schofer zu verdanken war, zu ersetzen durch eine Hofberichterstattung sogenannter "freiwilliger" Autoren aus der Stadtverwaltung. Der Bürgermeister erreichte es, dass Schofer in der RNZ nicht mehr über Leimen berichtete, sondern Neckargemünd als neuen Tätigkeitsbereich zugewiesen erhielt.

Weder die Fraktionen noch gar die Parteien hatten wegen des hartnäckigen Widerstands des Bürgermeisters (aber auch der CDU-Fraktion) eine Chance, im Amtsblatt "Rathaus-Rundschau" sich zu äußern oder Gegendarstellungen zu platzieren, obwohl die sogenannten "gemischten" Druckwerke (unser Amtsblatt gehörte zu dieser Kategorie) unter die Geltung des  Landespressegesetzes fallen.

So begleiteten wir mit Beiträgen u.a. zur Stadtkernsanierung, zur Situation der Kindergärten und der Jugendarbeit, zur Öffnung der Gemeinderatsausschüsse und der Beiräte, zum Naturschutz, insbesondere zur Steinbruchverfüllung, zum Straßenbau kritisch die Arbeit unseres Gemeinderats, der Stadtverwaltung und - immer wieder - das Wirken des damaligen Bürgermeisters Herbert Ehrbar.

Nicht nur der Bürgermeister, sondern auch ein Teil der SPD-Fraktion verfolgte die Öffentlichkeitsarbeit des Ortsvereins misstrauisch bis aggressiv. In den Angriffen gegen die Autoren des "durchblick" – vielfach junge Mitglieder, JUSOS vor allem, oder solche, die nicht mit der Gnade einer Leimener Geburt gesegnet waren, brachen die alten Affekte "gestandener" Mitglieder gegen jene Mitglieder aus, denen der "Stallgeruch" fehlte.

In fast allen Mitgliederversammlungen mahnte der Vorsitzende (auch er kein Leimener Urgestein) zu mehr Toleranz und Verständnis für eine neue Generation von Mitgliedern einer Partei, der das Arbeitermilieu abhanden gekommen war und die sich längst einer Mittelschicht, Selbständigen und "Intellektuellen" geöffnet hatte.

Der Konflikt und die Polarisierung der Mitglieder erreichten schließlich seinen Höhepunkt im Jahr 1989. Eine neue Mehrheit, die sich in den letzten Jahren durch den Eintritte jüngerer Mitglieder angebahnt hatte, war immer weniger mit der Ehrbar-freundlichen, kritiklosen Haltung einer Gruppe von SPD-Gemeinderäten einverstanden, die im wesentlichen durch Willi Dick und Werner Kistenmacher repräsentiert wurde.

Zunächst kam es in der Jahreshauptversammlung im März zu einer von der RNZ "Kampfabstimmung" genannten Entscheidung zwischen den beiden Gruppen, bei der sich der amtierende Vorstand Dr. Manfred Schechter durchsetzen konnte. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Dr. Heiner Neureither profitierte er von der veränderten politischen Landschaft und von der Unterstützung der jungen Neumitglieder.

Im Juni 1989, bei der Kür der Kandidaten für die Neuwahlen von Kreistag und Gemeinderat, kam es zum Eklat.

Die beiden Lager hatten ihre eigenen Vorstellungen von der Kandidatenliste für die Gemeinderats- und Kreistagswahlen. So kam es, dass jeweils zwei oder mehr Kandidaten für den gleichen Listenplatz vorgeschlagen wurden. Die Gruppe um Willi Dick und Werner Kistenmacher konnte ihre Kandidaten bei den Abstimmungen um die Kreistagskandidaten und die beiden ersten Listenplätze der Gemeinderatswahl nicht durchbringen, nachdem sie in den Jahren zuvor ihre Mehrheit im Ortsverein stets ausspielen konnte.

Diese Abstimmungsniederlage wollten sie nun nicht in demokroatischer Gesinnung akzeptieren. Stattdessen verließ die Gruppe das Versammlungslokal und gründeten (wohl noch am selben Tag und in demselben Lokal) die sogenannte "Soziale und demokratische Wählerinitiative". Da sie mit einer eigenen Liste gegen die SPD antraten, mussten insgesamt 9 Mitglieder nach den Parteistatuten aus der Partei ausgeschlossen werden. In Briefen an den Kreisvorstand beschwerten sie sich. Ihre Forderung, die demokratisch abgehaltenen Wahlen zu annullieren, machte jedoch trotz Vermittlungsgespräche des Kreisvorsitzenden eine Rückkehr unmöglich. Im Gefolge erklärten 11 weitere Mitglieder ihren Austritt. Nach dem Eintritt von 5 neuen Mitgliedern hatte der Ortsverein danach noch 138 Mitglieder.

Das Echo in der regionalen Presse war gewaltig, und nach einer Wahlkampfschlammschlacht – oft unter der Gürtellinie - überraschte das Wahlergebnis niemanden mehr.

Die SPD erreichte für alle Ortsteile zusammen 7 Sitze im Gemeinderat und 1 Sitz im Kreistag - gegenüber 10 bzw. 2 Sitzen in der vorausgegangenen Periode. Die RNZ sprach von "Wahldebakel". Der Bürgermeister war mit der neuen Situation begreiflicher Weise sehr zufrieden, da der um die Sitze der "SDW" erweiterte konservative Block eine komfortable Mehrheit hatte. Inwieweit zum guten Abschneiden der SDW der geschickt gewählte Name der Wählerinitiative beitrug, der den Stammwählern der SPD eine „Sozialdemokratische“ Gruppe zu suggerieren versuchte, bleibt der Entscheidung des Lesers überlassen.

Abgesehen von dieser besonderen Situation, waren auch die Wahlergebnisse der Landtags- und der Bundestagswahlen für die SPD nicht berauschend: Bei der Landtagswahl im März 1988 sank der Anteil der für die SPD abgegebenen Stimmen von 41,7 % (1984) auf 39,7 %.

Ähnlich verliefen die Bundestagswahlen: Im Januar 1987 sank der Stimmenanteil von 39,3 % (1983) auf 36,5 % und bei der Wahl im Dezember 1990 verringerte sich diese Zahl noch einmal auf 36,0 %. 1983 war Hans-Joachim Vogel als Spitzenkandidat in die Wahl gegangen, 1987 hatte Johannes Rau diese Position übernommen und 1990 war Oskar Lafontaine gegen Helmut Kohl angetreten.

Es ist inzwischen schlechter Brauch der Politiker, in ihren "Wahlanalysen" die Veränderungen (sei es nach oben oder nach unten) - je nach Ergebnis - der guten oder schlechten Politik der kommunalen Parteigliederungen, der Landes- oder der Bundesregierung oder der jeweiligen Opposition anzulasten.

Wir wollen uns an solchen Spekulationen nicht beteiligen.

Sicher ist: Die Klärung über den Kurs der SPD in Leimen war nach vielen quälenden, Jahre dauernden inhaltlichen und persönlichen Auseinandersetzungen überfällig. Im Ortsverein und in der Fraktion war die Atmosphäre nach dieser Klärung entspannt und freundlich; es wurde endlich wieder sachlich gestritten und gearbeitet.


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