Die Zeit von 1918 bis 1933
(Dr. Manfred Schechter)
Dieser Zeitabschnitt ist geprägt durch politische und wirtschaftliche Krisen. Er endet mit Hitlers Machtübernahme und dem Verbot der demokratischen Parteien. Anfang November 1918 breitete sich nach einem Matrosenaufstand in Kiel die Revolution gegen das überkommene System im ganzen Land aus. Der Generalstreik wurde ausgerufen, Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte wurden gebildet, auch in Leimen. Kurt Eisner von den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) rief am 7. November in München die Republik aus und gründete den "Freistaat Bayern". Nach einem erfolglosen Ultimatum der Mehrheitssozialdemokraten (MSPD), in dem der Rücktritt Kaiser Wilhelms II. gefordert wurde, verkündete Prinz Max von Baden, der letzte vom Kaiser ernannte Reichskanzler, kurzer Hand die Abdankung des Kaisers und übergab am 9. November das Amt des Reichskanzlers an Friedrich Ebert (MSPD). Die MSPD und die USPD bildeten einen paritätisch zusammengesetzten "Rat der Volksbeauftragten". Er erließ in rascher Folge eine Reihe von wichtigen Verordnungen. Sie brachten unter anderem das Recht für Männer und - erstmals - für Frauen auf gleiche, unmittelbare und geheime Wahl, das Versammlungsrecht, den achtstündigen Normalarbeitstag und die Erwerbslosenfürsorge. Im Dezember 1918 entschied sich eine klare Mehrheit der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte für die von der MSPD geforderte parlamentarische Demokratie gegen den USPD-Flügel und den Spartakus-Bund, die gewaltsam eine "Räterepublik" durchsetzen wollten. (Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von Reichswehroffizieren ermordet). Die Koalition aus MSPD und USPD zerbrach, und die Spartakisten gründeten die "Kommunistische Partei Deutschlands". Streiks und Demonstrationen für die Räterepublik ließ Ebert mit Hilfe der alten Armee niederschlagen. Trotz Unruhen wurden am 19. Januar 1919 die Wahlen zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung durchgeführt. Die MSPD erhielt 11,5, die USPD 2,3 Millionen Stimmen; insgesamt erhielten die Sozialdemokraten 45,5 % aller Stimmen. Die Nationalversammlung - inzwischen von Berlin nach Weimar verlegt - wählte am 11. Februar den Sozialdemokraten Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten, der am 13. Februar den Sozialdemokraten Phillipp Scheidemann zum Reichskanzler berief. Wie schon in den Jahren vor dem I. Weltkrieg waren Leimener Sozialdemokraten im gesellschaftlichen Leben wie in der Vereinsarbeit bei der Gründung der Ortsgruppe der "Naturfreunde" und im politischen Leben maßgeblich beteiligt. Bei den ersten kommunalen Wahlen errangen sie einen großen Erfolg. In Leimen fanden am 25. Mai die Gemeindeverordnetenwahlen und am 15. Juni die Gemeinderatswahlen statt. Die Sozialdemokraten stellten 29 von 48 Gemeindeverordneten und 5 von 8 Gemeinderäten. Putschversuche Links- und Rechtsradikaler gefährdeten die junge Demokratie. Im März 1920 zettelte Kapp mit Hilfe der Brigade Ehrhardt einen Putsch an; ungehindert durch die Reichswehr besetzten sie Berlin, und die Reichsregierung mußte nach Stuttgart flüchten. Der Putsch scheiterte, außer in Bayern, an einem von den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreik nach wenigen Tagen. Die Reichswehr gab ihre Neutralität erst auf bei der Niederschlagung von Arbeiterstreiks, die an vielen Orten des Reichs weitergeführt wurden. Die Zusammenarbeit der Reichsregierung mit der alten, reaktionären Reichswehr bei der blutigen Niederschlagung von Streiks und Aufständen kostete die Sozialdemokraten den Verlust vieler Anhänger. Auch in Leimen mußten die Sozialdemokraten Stimmenverluste hinnehmen. Die Not der Nachkriegsjahre, die Arbeitslosigkeit der Kriegsheimkehrer förderten die Radikalisierung. Politische Versammlungen, fast täglich organisierte Umzüge Radikaler und Gewalttätigkeiten kennzeichneten die Szene; in jener Zeit wurde zum Beispiel ein Stützpfeiler der Drahtseilbahn des Zementwerks gesprengt. Trotzdem erhielt die KPD bei den Gemeinderatswahlen 1922 nur einen Sitz. Die Sozialdemokraten mußten zwei Sitze an die Bürgerlichen abgeben. In Bayern war der Kapp-Putsch erfolgreich. Die Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Hoffmann wurde mit Waffengewalt zum Rücktritt gezwungen. Der dann im November 1923 im Münchener Bürgerbräukeller inszenierte Putschversuch Adolf Hitlers mißlang zwar, Hoffmanns Nachfolger Gustav von Kahr und die Reichswehr in Bayern unter General von Lossow sympathisierten aber offen mit Hitler. Es folgten Fememorde und Aufmärsche bewaffneter Rechtsradikaler. In der Zwischenzeit war die Radikalisierungswelle in Leimen deutlich abgeebbt. Die KPD verlor Mitglieder und 1924 ihren Sitz im Bürgerausschuß. Die USPD löste sich auf, und die meisten ihrer Mitglieder schlossen sich der SPD an, die ihre Vormachtstellung in Leimen zurückgewann. Die SPD verabschiedete 1921 auf ihrem Parteitag in Görlitz ein neues Programm und erklärte sich zur Volkspartei. Nach dem Anschluß der Reichs-USPD an die Mutterpartei 1922 wurde 1925 auf dem Heidelberger Parteitag das "Heidelberger Programm" formuliert. Im theoretischen Teil wurde der ideologische Ansatz des Erfurter Programms übernommen. Sozialismus und Demokratie werden als untrennbare Begriffe erklärt. Die Öffnung gegenüber den Mittelschichten wurde gefordert. Der wachsenden Bedeutung des Finanzkapitals wurde Rechnung getragen. Das Heidelberger Programm blieb bis zum Godesberger Parteitag 1959 gültig. Im Reichstag befand sich die SPD inzwischen in der Opposition. Im Februar 1925 starb Reichspräsident Ebert, und im April wurde in einer Atmosphäre der Reaktion und des wiedererstarkten Militarismus - der ehemalige Generalfeldmarschall von Hindenburg mit knappem Vorsprung gewählt gegen den Kandidaten der Weimarer Koalition, Wilhelm Marx, und gegen den Kommunisten Thälmann. Eine "rote Hochburg" hingegen blieb Preußen, wo der Sozialdemokrat Otto Brauri als Ministerpräsident versuchte, das Modell eines "republikanischen Volksstaats" zu verwirklichen. Erst 1928 wieder stellte ein Sozialdemokrat, Hermann Müller, den Reichskanzler einer großen Koalition aus SPD, Zentrum, DDP und DVP. Aber auch dieses Kabinett scheiterte 1930 wegen Kontroversen um die Arbeitslosenhilfe. Die 1929 in den USA beginnende Weltwirtschaftskrise traf Deutschland wegen seiner wirtschaftlichen Verflechtung mit den USÄ besonders hart. Die Radikalen von links und von rechts wurden gestärkt. Der Reichstag konnte keine arbeitsfähige Regierung mehr bilden und schaltete sich dadurch selbst aus. Die Regierung Brüning versuchte erfolglos, durch Notverordnungen der Wirtschaftskrise zu begegnen. Nach der Auflösung des Reichstags im September 1930 vermehrte in der folgenden Reichstagswahl die NSDAP die Zahl ihrer Sitze von 12 auf 107; auch die Kommunisten gewannen zusätzliche Sitze. In den Jahren 1931 und 1932 erreichte die Krise ihren Höhepunkt: Etwa 17000 (meist kleine) Betriebe gingen in Konkurs, etwa 6 Millionen Menschen wurden arbeitslos. Die Radikalisierung nahm ständig zu. Kampfverbände befehdeten sich: Die SA und die SS der Nationalsozialisten, der "Rote-Front"-Kämpferbund der Kommunisten, der "Stahlhelm", ein Bund der Frontsoldaten, und die "Eiserne Front", ein 1931 gegründetes Bündnis der SPD, der Gewerkschaften und des republikanischen Wehrverbands "Reichsbanner". Im Oktober 1931 schlossen sich die Nationalsozialisten, Hugenbergs Deutschnationale und der Stahlhelm-Bund zur "Harzburger Front" zusammen. Im April 1932 wurde der 84-jährige Hindenburg - nun als Kandidat der Weimarer Koalition - zum Reichspräsidenten gewählt. Als verhängnisvoll erwiesen sich in der Folge die außerordentlichen Machtbefugnisse des direkt vom Volk gewählten Reichspräsidenten. Im Mai entließ Hindenburg den Reichskanzler Brüning; sein Nachfolger von Papen bildete eine kurzlebige Minderheitsregierung. Einige Tage später wurde der Reichstag wieder aufgelöst, und die Nationalsozialisten gewannen in der folgenden Wahl 230 von 608 Sitzen. Am 20. Juli wurde die sozialdemokratische Regierung Braun-Severing in Preußen durch einen Staatsstreich abgesetzt. Nach erneuten Reichstagswahlen im November sank der Stimmenanteil der NSDAP von 38 % auf 32 %; aber nach dem Rücktritt von Papens und einem Zwischenspiel des Generals von Schleicher als Kanzler ernannte Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Während Leimens Nachbargemeinden nach und nach von den Nationalsozialisten eingenommen wurden, konnte sich die SPD in Leimen bis zur Ausschaltung der Parteien im Jahre 1933 behaupten. Die "Schutzformation" (Schufa) des Reichsbanners sorgte nicht nur in Leimen, sondern auch in den Nachbargemeinden für Saalschutz bei Versammlungen der Demokraten. Noch im Jahr 1932 erfolgte der Ausbau des alten Sportplatzes und der Bau der Sporthalle der Freien Turnerschaft durch das Arbeitersportkartell. Aufschlußreich sind die Leimener Wahlergebnisse aus jener Zeit. Bei der Reichspräsidentenwahl erhielten Hindenburg 1555, Hitler 687 und Thälmann 108 Stimmen. Bei den Reichstagswahlen ergaben sich folgende Zahlen: Am 31. Juli 1932 für die SPD 921, für die NSDAP 835, für das Zentrum 307, für die KPD 158; am 6. November 1932 für die SPD 877, für die NSDAP 735, für das Zentrum 289, für die KPD 210; am 5. März erhielten die SPD 880, die NSDAP 927, das Zentrum 316 und die KPD 184 Stimmen. Im Reich kam das Ende der Weimarer Demokratie: Nach dem von den Nazis gelegten Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 wurde durch die Notverordnung Hindenburgs zum "Schutz von Volk und Staat" die Aufhebung der in der Weimarer Verfassung garantierten Grundrechte verfügt. In den letzten Reichstagswahlen am 5. März 1933 erhielt die NSDAP 44 %, zusammen mit den Deutschnationalen verfügte sie damit über 52 % der Sitze; als zweitstärkste Partei erreichte die SPD 120 Sitze. Am 22. März ließ Hitler durch das "Ermächtigungsgesetz" das Recht der Gesetzgebung vom Reichstag auf die Regierung übertragen. Nach der Verhaftung von Abgeordneten und der Kassierung der KPD-Mandate stimmte eine 2/3-Mehrheit der verbleibenden Parteien unter dem Druck des SA- und SS-Ordnungsdienstes, der den Reichstag umstellt hatte, der Entmachtung des Parlaments zu. Nur die Sozialdemokraten wagten es, sich dem Willen Hitlers zu widersetzen: Alle SPD-Abgeordneten stimmten mit nein. Zum letzten Mal kam durch den Fraktionsführer Otto Wels eine andere Meinung als die Hitlers zu Wort. In seiner denkwürdigen Rede erklärte er am Schluß: "Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten ... . Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standfestigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft". Das Gesetz (es sollte 4 Jahre Gültigkeit haben, wurde aber 1937 verlängert) gab der Reichsregierung das Recht, Gesetze ohne Rücksicht auf den Reichstag und die Verfassung zu erlassen. Es bedeutete das Ende des Rechtsstaats. Die Liquidierung oder Selbstauflösung der Parteien folgte auf den Fuß: Am 22. Juni 1933 wurde die SPD verboten. Der "Vökische Beobachter" verkündete das "Ende der marxistischen Landesverratspartei". Die Gewerkschaftshäuser wurden im ganzen Land besetzt, ihr Vermögen beschlagnahmt; Funktionäre und Sozialdemokraten wurden mißhandelt, in Konzentrationslager gesteckt, ermordet. Otto Wels: "Das Leben könnt ihr uns nehmen - unsere Ehre aber nicht!" Auch in Leimen griff der Nazi-Terror um sich. Am 5. März 1933, dem Tag der letzten Reichstagswahl, sollte die SPD-Hochburg eingenommen werden. Die Zeugen Fritz Engelhorn, Ferdinand Reidel und Hermann Schubert berichten: Reichsbannerleute, die von einer Wahlkampffahrt aus dem Odenwald zurückkehrten, begaben sich in die Sporthalle der Freien Turner; es ging das Gerücht um, daß die Halle von der SA und der SS gestürmt werden sollte. Tatsächlich waren etwa 400 SA- und SS-Männer hinter dem Zementwerk zusammengezogen worden. Reichsbannerführer Reidel mahnte die Jüngeren, wegen der gefährlichen Situation nach Hause zu gehen. Die Heimkehrer wurden auf dem Weg verhaftet. Eine Schlägerei diente als Anlaß zum Sturm auf die Sporthalle. Nach kurzem Feuergefecht riegelte die zur Unterstützung geeilte Heidelberger Schutzpolizei die Halle ab und verhaftete alle dort anwesenden Mitglieder der Eisernen Front. Der Lehrling H. Schubert verlor nach seiner vorläufigen Haftentlassung seine Lehrstelle. Ein Sondergericht verhandelte gegen 13 Angeklagte von der Eisernen Front, gegen neun wurden insgesamt 11 Jahre wegen "Landfriedensbruchs" verhängt. F. Engelhorn konnte unter dem Druck der Nationalsozialisten zwei Jahre seinen Beruf nicht mehr ausüben. Aber noch im Mai 1933 konnte sich die NSDAP bei der Wahl des Bürgermeisters nicht durchsetzen. Der Kandidat der Nationalsozialisten, Willi Seeger, unterlag mit 8 Stimmen gegen den gemeinsamen Kandidaten der SPD und des Zentrums, den amtierenden Bürgermeister Jakob Weidemaier, der 11 Stimmen erhielt. Trotz massiven Drucks war keiner der Wahlmänner der SPD und des Zentrums umgefallen. Vier Wochen später wurde die SPD aufgelöst. Die Wahl Weidemaiers wurde annulliert und sein Gegenkandidat als Amtsleiter eingesetzt. Am 31. August und am 18. Oktober verfügte das Badische Bezirksamt, daß ehemaligen SPD-Mitgliedern die Aufnahme in Sportvereine zu versagen sei. Den Sozialdemokraten blieb in den folgenden Jahren der Nazi-Herrschaft nur die Arbeit im Exil oder im Untergrund. Auch in Leimen wurden im Rahmen der "Sozialistischen Aktion" Flugblätter verteilt. Es folgten Verhaftungen in den Jahren 1933 bis 1935. Im Gedächtnis ist uns noch eine Gruppe um Jakob Uhrig. Aus der Zeit des II. Weltkriegs sind uns keine Aktionen bekannt, wohl, weil die meisten Sozialdemokraten im wehrpflichtigen Alter eingezogen waren.
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