SPD-Gemeinderatsfraktion

Wolfgang Thierse in Leimen - „Vom Versuch in der Wahrheit zu leben“


Im Leimener Kurpfalz-Centrum nahm der SPD-Politiker Wolfgang Thierse seine Zuhörer mit auf eine spannende Zeitreise. Auch ihm wurde während der DDR-Zeit ein Ritual der Unterwerfung abverlangt.

„Time Machine“ heißt eines der Gemälde, die derzeit im Atrium des Kurpfalz-Centrums ausgestellt sind. Genau hier war nun der SPD-Politiker und ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zu Gast, um auf Einladung der SPD-Gemeinderatsfraktion und des Kulturforums Südliche Bergstraße Stellung zu beziehen zum „Wort von Václav Havel ‚Vom Versuch in der Wahrheit zu leben‘“.


SPD-Stadtrat Peter Sandner und SPD-Landtagskandidatin Andrea Schröder-Ritzrau
hießen Wolfgang Thierse im Leimener Kurpfalz-Centrum
ebenso willkommen wie der einstige SPD-Bundestagsabgeordnete Gert Weisskirchen (v.l.n.r.)

Mitgebracht hatte er das von ihm gemeinsam mit den SPD-Urgesteinen Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler verfasste Buch „Was zusammengehört: Die SPD und die deutsche Einheit 1989/90“ vorzustellen. Zu einer Lesung wurde die Veranstaltung allerdings nicht, vielmehr zu dem, was in dem Filmklassiker „Time Machine“ geschieht. Sie wurde zu einer Reise in die Zeit.

Sprich: zurück in die Monate der „Wende“ vom „Neuen Forum“ über die erste freie Volkskammerwahl bis hin zum Vollzug der deutschen Einheit. Doch wollte sich der 1943 in Breslau Geborene, der in der DDR zunächst das Handwerk des Schriftsetzers erlernte, dann Germanistik und Kulturwissenschaft studierte und später in der Humboldt-Universität, im Ministerium für Kultur und der Akademie der Wissenschaft arbeitete, keineswegs auf diese Phase beschränken.

Etwa, als ihn Gert Weisskirchen, von 1976 bis 2009 SPD-Bundestagsabgeordneter im Rhein-Neckar-Kreis und nun Moderator der Veranstaltung, frug, ob er „große starke historische Momente“ vermisse. „Ja und Nein“, entgegnete Wolfgang Thierse, und fügte an, er versuche stets zu erklären, dass die „Geschichte der DDR auch eine Geschichte der Enttäuschungen und verbrauchten Hoffnungen war“.

Hierbei nahm er den Arbeiteraufstand in Polen 1956 ebenso in den Blick wie den Volksaufstand in Ungarn im selben Jahr, den Bau der Berliner Mauer 1961, den „Prager Frühling“ 1968 und die polnische Solidarnosc-Bewegung 1980. Besonders haften geblieben ist ihm offenbar der „Prager Frühling“, zu dessen Niederschlagung bekanntlich auch DDR-Militär bereitgestanden hatte.

Zehn Jahre darauf sei das Buch „Versuch, in der Wahrheit zu leben“ von Václav Havel eine seiner „wichtigsten politischen Lektüre in der DDR“ gewesen. Denn dieses Buch habe versucht, „unser Verhalten in der Diktatur zu analysieren“. Also die Frage zu erörtern, „was wäre, wenn wir nicht mehr bereit wären, die Rituale der Unterwerfung mitzumachen“.

Exakt ein solches Ritual sei auch nach dem Ende des „Prager Frühlings“ an der Berliner Universität eingefordert worden. Ob man nun die Hand hebe oder eben nicht, sei damals freilich „etwas schwieriger zu beantworten“ gewesen „als in einem freien Land“. Überdies hätte „Nein-Sagen das Team gefährdet“. Letzten Endes sei Diktatur, so Wolfgang Thierse, „immer auch eine Folge des Begründens kleiner Entscheidungen, ob im Berufsleben oder in der Familie“.

Dies habe man ihm später zum Vorwurf gemacht. Zugleich sei er 1990 als „Moralist“ beschimpft worden, wobei er bis dahin „gar nicht wusste, dass ‚Moralist‘ ein Schimpfwort ist“. Damit war er in der Sache beim „Was zusammengehört“-Buch angelangt, welches er eingangs als Buch zum Aufräumen mit einem ganz bestimmten Vorurteil präsentiert hatte. Einem Vorurteil, das „viel mit Oskar Lafontaine zu tun hat“.

Konkret laute dieses, in der Sozialdemokratie habe es Streit um die deutsche Einheit gegeben. „Nix da!“, hielt Wolfgang Thierse hierzu nun kategorisch fest. Vielmehr seien diesbezügliche Beschlüsse in der SPD „immer mit großen Mehrheiten gefasst“ worden. Nicht verhehlen wollte er indes, dass auf DDR-Seite zunächst „alle nicht für die deutsche Einheit waren“. Sondern für eine „andere DDR, eine Reform der DDR“.


Text und Foto: Werner Popanda
(mit freundlicher Genehmigung der RNZ entnommen)