SPD Ortsverein Leimen und Ortsverein St. Ilgen Finanzpolitik aus der Nähe betrachtet:
"Ich bin ich sehr gern der Einladung gefolgt, in Leimen über Finanzpolitik zu sprechen” begann Lothar Binding, MdB aus Heidelberg, seinen Vortrag über das Steuersystem und die von der SPD mit ihrer Steuerpolitik verfolgten Ziele. Nach der Begrüßung und Einführung in die Thematik durch den OV-Vorsitzenden Hartwig Wätjen, erwartete die Zuhörer – unter ihnen auch Leimens OB Wolfgang Ernst und viele SPD-Gemeinderäte - eine Serie spannender Hintergrundinformationen zu den Grundlagen der Steuerpolitik und zu Einzelheiten des seit 1999 in Stufen in Kraft tretenden Steuersenkungsgesetzes der rot-grünen Bundesregierung. Binding erläuterte insbesondere die starken wirtschaftlichen und finanziellen Änderungen der globalen Rahmendaten seit 1998: Das Absinken des Welthandels um mehr als 7%, die weltweite Wachstumsschwäche, die Verschuldungsgeschwindigkeit in den USA, die größer ist als in der Endphase von Kohl, der dramatische Einbruch am Neuen Markt, die Fehlentscheidungen vieler Banken, die Rezession in Japan und jüngst die durch Terrorismus ausgelöste Sicherheitskrise. Binding ergänzt, dass es auch lohnen wäre über Verantwortungsethik und Verantwortung für Deutschland von Unternehmen und Managern zu sprechen. Nach diesen einleitenden Bemerkungen kam Binding zum Kernthema seines Vortrags - gestützt auf grafische Darstellungen die mittels Beamer projiziert und am Flipchart bildlich entwickelt wurden. Steuerlich betrachtet lassen sich alle Unternehmen in zwei Rechtsformen einteilen: Freiberufler, Handwerker Einzelunternehmer bzw. Personengesellschaften auf der einen Seite, Körperschaften, also Aktiengesellschaften und GmbHs auf der anderen Seite. Dabei sind 85 % aller Betriebe Personengesellschaften und nur 15 % Körperschaften. Binding führte aus “die Körperschaften zahlen Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag und die Anteilseigner der Körperschaften zahlen Einkommensteuer sowohl auf Arbeitseinkommen als auch auf die Dividende aus den Anteilen”. Dann wies er nachdrücklich darauf hin, dass zwar „die Eigentümer der Personengesellschaften Einkommensteuer auf die Gewinne aus ihrem Unternehmen bezahlen, dass aber eine Personengesellschaft keine Steuern bezahlt“. Eine Personengesellschaft zahlt keine Körperschaftsteuer und seit der Steuerreform 1999 auch keine Gewerbesteuer und keinen Solidaritätszuschlag. Deshalb sei es ein durchschaubarer Trick der CSU/CDU/FDP zu behaupten, dass die Unternehmensteuerreform dem Mittelstand nicht helfe, weil der als Personengesellschaft verstandene Mittelstand “die Unternehmensteuer”, eben die Gewinn- bzw. Körperschaftsteuer überhaupt nicht zu bezahlen habe. „Körperschaften werden nach einem Zwei-Ebenen-Modell versteuert: Unternehmen und Eigner bezahlen beide Steuern. Personengesellschaft werden nach einem Ein-Ebenen-Modell behandelt: Nur der Eigner zahlt Einkommenssteuer, das Unternehmen bezahlt keine (Körperschafts- und Gewerbe-) Steuer” so Binding. Dem als Personengesellschaft verstandenen Mittelstand wird nur durch die Senkung der Einkommensteuer geholfen. Die große Entlastung bei der Einkommensteuer hilft also sowohl dem Mittelstand als auch den Arbeitnehmern und Familien. Die Einkommensteuer wird erstmals in der Nachkriegsgeschichte gravierend gesenkt: Beschlossen sind bereits die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimum von ca. 6.000 € auf 7.664 € - das heißt, der für alle Steuerpflichtigen steuerfreie Betrag wird kräftig angehoben. Zudem wird bis 2005 der Eingangssteuersatzes von 25,9 % auf 15 % und schließlich auch der Spitzensteuersatz auf 42 %, ein international vergleichbares Niveau gesenkt (hier finden Sie die entsprechenden Folien aus den Vortrag). Das Unternehmenssteuerrecht bis 1998 stand oft Investitionen im Wege, weil beispielsweise an Aktionäre ausgeschüttete Gewinne mit nur 30 % besteuert wurden, im Unternehmen belassene und reinvestierte Gewinne hingegen mit 40%. Außerdem wurden früher alle von den Aktiengesellschaft bezahlten Körperschaftsteuern später an die Aktionäre zurückbezahlt – das nennen die Fachleute Vollanrechnungsverfahren. Leider wurden damit durch die alte Regelung wenige Anreize geboten, Arbeitsplätze zu schaffen und die Innenfinanzierung der Unternehmen zu stärken. Deshalb werden die Steuersätze inzwischen für ausgeschüttete wie für reinvestierte Gewinne einerseits auf 25 Prozent vereinheitlicht und gesenkt, andererseits aber definitiv (endgültig) erhoben. Dabei hat der Anteilseigner künftig die Hälfte seiner Dividendeneinkünfte mit seinem persönlichen Einkommensteuersatz zu versteuern, das nennt man das Halbeinkünfteverfahren. Auf diese Weise werden künftig die Investitionen in der Unternehmenssphäre steuerlich besser gestellt als früher. Das ist nach Aussage von Binding einer der Gründe, warum wir heute 1,3 Millionen mehr Beschäftigungsverhältnisse haben als vor vier Jahren - sonst wäre der Druck der internationalen Wachstumsschwäche auch auf unseren Arbeitsmarkt noch größer geworden. Im Ergebnis bezahlen Aktiengesellschaften und GmbHs künftig 25% Ertragsteuern, 12 Gewerbesteuern und 1% Solidaritätszuschlag, zusammen also 38% - definitiv. “Definitiv bedeutet” so Binding, “dass diese Steuereinnahmen – anders als früher – im Steuertopf bleiben und nicht durch Steuerspartricks vermieden werde können”. Im Gegensatz dazu zahlen 96 % aller Personengesellschaften weniger als 38 %, weil ihre Eigner nur nach der deutlich gesenkten Einkommensteuer veranlagt werden. Auf die Frage aus dem Auditorium, ob das Großkapital trotzdem noch besser gestellt sei als der Mittelstand gab Binding zu bedenken, dass vor der großen Steuerreform “Konzerne bzw. die Versicherungs- und Energiewirtschaft mit Recht kräftig belastet wurden, denn früher gab es kein Abzinsungsgebot und damit viele Einnahmen aus Gewinnen aus Risikorücklagen am Fiskus vorbei”. So etwas gäbe es heute nicht mehr. Kurz: heute werden die Zinsgewinne solcher Konzerne besteuert. "Mit dieser Reform wurde eine sozial gerechte und beschäftigungspolitisch sinnvolle Finanz- und Wirtschaftspolitik auf den Weg gebracht", war das Resümee Lothar Bindings. In der sich anschließenden Diskussion wurde neben Fragen zu anderen – von Wissenschaftlern wie Rose und Kirchhoff in die Debatte gebrachten – Steuersystemen insbesondere auch die Frage nach den Ursachen des Einbrechens der Gewerbesteuer erörtert, die an die Körperschaftsteuer gekoppelt ist. Binding machte klar, dass der Hauptgrund hierfür in der Ausweitung der Möglichkeit zur Bildung von sog. steuerlichen „Organschaften“ besteht, die schon 1995 unter der damaligen CDU-Regierung geschaffen wurden, deren Effekte mit der Verlagerung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer und der Anrechnung von Gesellschaftsankäufen im Ausland erst ab 1999 dann voll zum Tragen gekommen seien. Zum Abschluss dankte der Fraktionsvorsitzende Peter Sandner, auf dessen Anregung Binding nach Leimen gekommen war, Lothar Binding herzlich für die fast drei Stunden, in denen er den Anwesenden Informationen über eine „trockene“ Materie in sehr qualifizierter und anschaulicher Weise dargeboten habe. Er freue sich, dass Binding am 14. Mai in St. Ilgen in einer Veranstaltung über die „Zukunft unserer Sozialversicherungssysteme“ den beiden Ortsvereinen nochmals zur Verfügung stehe und sei sich gewiss, dass er auch diesen „trockenen“ Themenbereich genau so verständlich darstellen und mit den Zuhörern diskutieren werde. Dr. Peter Sandner |