SPD Ortsverein Leimen und Ortsverein St. Ilgen Osterweiterung der EU Bei einer gut besuchten gemeinsamen Mitgliederversammlung der beiden Ortsvereine referierte der ehemalige Landtagsabgeordnete Karl-Peter Wettstein über die bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union. Er bedauere, dass dieses Thema trotz seiner Bedeutung in der öffentlichen Diskussion der bisherigen EU-Mitgliedsländer kaum eine Rolle gespielt habe und angesichts des gegenwärtig alles überlagernden Irak-Problems noch weiter in den Hintergrund gedrängt werde. Dennoch sei diese Erweiterung für die langfristige Entwicklung Europa äußerst wichtig; nur so könne Europa zusammenwachsen und eine eigenständige Rolle in der Weltpolitik spielen. Einleitend fasste er kurz die Fakten zur bevorstehenden Osterweiterung zusammen. 2004 sollen 10 Staaten - neben den Ländern Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien des ehemaligen Ostblocks auch die beiden nicht im Osten, sondern im Mittelmeer liegenden Staaten Malta und Zypern - mit zusammen 75 Mio. Einwohnern beitreten, ihnen sollen 2007 Bulgarien und Rumänien mit 30 Mio. Einwohnern folgen. Damit wachse sowohl die Bevölkerung als auch die Fläche der EU um etwa 1/3, dies sei die schwierigste Operation in der Geschichte der EU. Schwierig insbesondere daher, da sich in dieser zukünftigen EU das schon vorhandene Wirtschaftsgefälle (von West nach Ost und von Nord nach Süd) dramatisch verschärfen werde. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung liege in den Beitrittsländern (mit Ausnahme von Zypern, Malta und Slowenien) nicht nur weit unter dem jetzigen EU-Durchschnitt, sondern unter dem der bisherigen Schlusslichter Griechenland und Portugal. Es werde geschätzt, dass die beiden wirtschaftlich am besten situierten Beitrittsländer Ungarn und Polen 20 bzw. 30 Jahre benötigen werden, um den EU-Durchschnitt zu erreichen. Dies aber nur, wenn dorthin ähnliche Unterstützungsleistungen fließen wie in den vergangenen beiden Jahrzehnten nach Irland, Portugal, Spanien und Griechenland. Daher sei es nicht verwunderlich, dass gerade in diesen Ländern die größten Widerstände und Vorbehalte gegen die EU-Erweiterung vorhanden seien. Wettstein führte drei Gründe an, weshalb die Osterweiterung notwendig sei. Erstens sei ohne die Perspektive des EU-Beitritts in den ehemaligen Ostblockländern die Demokratie durch faschistische Tendenzen gefährdet. Die Erweiterung trage daher wesentlich zur Stabilisierung der demokratischen Entwicklung in diesen Ländern bei und diene so zur Erhaltung des Friedens in Europa. Zweitens sprächen wirtschaftliche Gründe für die Erweiterung. Nur durch die Vergrößerung des europäischen Binnenmarktes werde es Europa gelingen, in der Triade USA, Südostasien und Europa die ihm zukommende Rolle zu spielen. Wie stark die USA auf die geplante Osterweiterung reagiere, sehe man an den Anstrengungen der Bush-Administration, die NAFTA-Zone auf Südamerika auszudehnen und zwar zu Bedingungen, die auf die Stärkung der Wirtschaft in den USA, nicht der Wirtschaft in den Länder Südamerikas ausgerichtet seien. Deutschland habe zudem besondere wirtschaftliche Gründe, da es in der zukünftigen EU aus der bisherigen Randlage in eine Zentrumslage rücke und sehr intensive Wirtschaftsbeziehungen zu den Beitrittsländern unterhalte. Schon jetzt stammten 40% des Imports der Beitrittsländer aus den Ländern der EU aus Deutschland. Drittens sei die Erweiterung ein weiteres Stück auf dem Weg zu einem Vereinten Europa, einem Ziel, dem sich die deutsche Sozialdemokratie seit dem Heidelberger Parteitag verbunden fühlt. Wettstein betonte, dass er sich gerade für die Jugend in der heutigen Zeit kein besseres Ziel als ein Vereintes Europa vorstellen könne. Dass gegen dieses Ziel auch Vorbehalte in manchen bisherigen EU-Ländern bestünden, solle nicht verschwiegen werden. Er nannte hier besonders England, das nun erkenne, dass in der vergrösserten EU einige bisher gepflegte, dem Zusammenwachsen der Staaten aber abträgliche Prozeduren (wie Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen) auf Dauer nicht haltbar seien. Wettstein wies darauf hin, dass durch das Wirtschaftsgefälle für eine längere Übergangszeit ohne entsprechende Regelungen auch große Probleme zu erwarten seien. So müssten die neuen Beitrittsländer in ähnlicher Weise finanziell unterstützt werden, wie es mit Spanien, Irland, Portugal und Griechenland geschehen sei. Die bisher dafür in der mittelfristigen Finanzplanung der EU vorgesehen Mittel reichten nicht aus; es stelle sich die Frage, ob nicht am starren Festhalten am Eigenmittelhöchstbetrag von 1,27% des BIP der EU abgerückt werden müsse. Auch sei eine Reform der Agrarfinanzierung in der EU überfällig – dies sogar unabhängig von der Osterweiterung. Bisher seien in der Finanzplanung nur geringe Mittel für die Agrarsubventionen der Beitrittsländer eingesetzt worden, sie sollen nur ein 1/4 der Subventionen der bisherigen EU-Staaten erhalten. Aufgrund des Wirtschaftsgefälles bestünde zudem die Gefahr einer unkontrollierten Zuwanderung aus den Beitrittsländern. Die Freizügigkeit müsse daher für eine längere Übergangszeit ausgesetzt werden – nicht zuletzt auch im Interesse der Beitrittsländer, die sonst die besten Fachkräfte zum Aufbau ihrer eigenen Wirtschaft verlören. Um Lohn- und Sozialdumping in den bisherigen Ländern zu verhindern, müssen ebenfalls entsprechende Übergangsregelungen geschaffen werden und z.B. die Vergabeordnungen der öffentlichen Hand angepasst werden. Abschließend wies Wettstein darauf hin, dass der Beitritt automatisch nur die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion beinhalte, nicht aber den Eintritt in die Euro-Zone. Hierfür seien auch von den neu hinzukommenden EU-Ländern die bekannten monetären und haushaltspolitischen Eintrittskriterien zu erfüllen, diese müsse man nach seiner Auffassung eventuell durch gesamtwirtschaftliche Kriterien ergänzen. Er skizzierte den Ablaufplan für den Beitritt der Länder und machte seine Bedenken deutlich, ob der in Nizza vereinbarte Zeitplan mit einem Beitritt der zehn Länder im Jahr 2004 eingehalten werden könne. In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere nochmals die Themen der Neuordnung des Agrarmarktes und der Auswirkungen der Freizügigkeit auf die bisherigen Länder vertieft - insbesondere auch die möglichen Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Man kam auch darauf zu sprechen, dass sich die Türkei um eine Aufnahme in die EU bemühe. Hier plädierte Wettstein dafür, der Türkei einen Zeitplan für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen anzubieten, die dann ohne Präjudizierung ablaufen sollten. Nach einer lebhaften Aussprache schloss der Leimener Ortsvereinsvorsitzende Hartwig Waetjen den Abend mit einem herzlichen Dank an den Referenten Karl-Peter Wettstein, dessen Engagement für ein vereintes Europa während des gesamten Abends zu spüren gewesen sei. Dr. Peter Sandner |