SPD-Ortsverein St. Ilgen Rede von Hans-Henning Mohring bei seinem Ehrungsabend Ein Abschiedsabend wie der heutige dient traditionsgemäß immer auch dazu, Rückblick zu halten auf einige markante Stationen des Weges, der nun zu Ende ist. Ich tue das sehr gerne und ich bin dem SPD-Ortsverein St.Ilgen ganz besonders dankbar, daß er mir mit dieser Veranstaltung heute hierfür eine Plattform bietet, nachdem die neue Art der Ehrungsveranstaltung durch die Stadt hierfür meines Erachtens keine Gelegenheit mehr gibt, was grundsätzlich natürlich nicht zu beanstanden ist; was aber einem wie mir, der gerne Geschichten erzählt, einfach fehlt.
Ein politisches Mandat - auch das eines Gemeinderates - bringt die Chance zur Macht. Macht in der Demokratie aber setzt eine Mehrheit voraus. Diese strebt üblicherweise an, wer sich um ein Mandat bewirbt, wir alle haben es jüngst im Bundestagswahlkampf erlebt. Die Demokratie vergibt Mandate nur auf Zeit. Das ist für Sie, liebe Zuhörer, eine Binsenweisheit und keine neue Erkenntnis. Unserem Bundeskanzler und Parteivorsitzenden sagt man nach, er habe als junger Politiker an den Toren des Kanzleramtes gerüttelt mit den Worten "Da will ich hinein!". Bei mir war das seinerzeit ganz anders: ich war nie Klassensprecher gewesen in der Schule, ich war während meiner Studienzeit nie aktiv im Asta, ich gehörte keiner Partei an und hatte auch mit der 68-er Studentenbewegung und deren Vorläufer nichts am Hut. Als im Spätjahr 1964 meine heutige Frau und ich uns einig waren, die sogenannten Lehr- und Wanderjahre zu beenden, seßhaft zu werden und eine Familie zu gründen, verschlug uns der Zufall nach St.Ilgen, ein Dorf mit knapp 3.000 Einwohnern, von dessen Existenz wir zuvor noch nie gehört hatten. Wir kamen beide aus der Kleinstadt Schwäbisch Hall, wo jede Familie einen Zaun und eine Hecke um sich hatte, hinter die man sich zurückzog und niemanden hineinschauen ließ. In St.Ilgen aber war das völlig anders: die Menschen kannten sich nicht nur, sie redeten ständig miteinander, sie halfen sich gegenseitig, sie bildeten eine Gemeinschaft, in die jeder seine Fähigkeit einbrachte, sie lachten und tranken miteinander und nahmen jede kleinste Gelegenheit zum Anlaß, miteinander zu feiern. Bei unserer ersten Kerwe in St.Ilgen, die damals nur in Gastwirtschaften stattfand, stieg der damals knapp 80-jährige Herr Kaufmann, ein St.Ilgener Ureinwohner, auf den Tisch und tanzte und alle anderen Gäste standen drumrum und klatschten im Takt mit der Musik. Für uns war das eine völlig neue Welt. Sie begeisterte uns, wir wollten dazugehören, mitmachen und uns einbringen und integrieren. Die Umgebung des Nestes, das wir als Familie zu bauen begannen, gefiel uns. Dann ging der altgediente Bürgermeister St.Ilgens, Willi Laub, in den Ruhestand und sein Kronprinz, der junge, dynamische Herbert Ehrbar trat an, St.Ilgens Zukunft zu gestalten. Er suchte junge Leute, die ihm dabei helfen sollten und der Tischtennisclub Schwarz-Gold 1948 St.Ilgen, dessen Vorsitzender ich mittlerweile geworden war, hatte überlebenswichtige Wünsche an die Gemeinde und deren Gemeinderat. Praktisch ohne eigenes Zutun war ich plötzlich im Sommer 1968 als Gemeinderatskandidat auf der SPD-Liste, auf der u.a. damals auch der pensionierte Bürgermeister Willi Laub stand. Am 20. Oktober 1968 gingen 83 % der St.Ilgener Wahlberechtigten zur Stimmabgabe, um insgesamt 7 Gemeinderäte zu wählen. Die SPD bekam damals 4.618 Stimmen. Von ihrem Wahlvorschlag wurden damals Karl Gehrig mit 1.086, Hans-Henning Mohring mit 858, und Albert Kübler mit 649 Stimmen in den Gemeinderat gewählt. Die CDU bekam damals 3.830 Stimmen, davon wurden die altgedienten Gemeinderäte Erich Honig mit 861 und Otto Stumpf mit 851 Stimmen in ihrem Amt bestätigt. Ebenso wie die CDU brachten damals die Freien Wähler zwei Männer in den Gemeinderat: Erich Dittrich mit 675 und Erich Guttroff mit 574 Stimmen. Erich Dittrich ist schon seit einigen Jahren Ehrenbürger und Altgemeindarat. Alle anderen damals mit mir Gewählten sind schon verstorben. Ich war damals mit 28 Jahren mit Abstand der Jüngste im Gemeinderat. Der Tischtennisclub bekam Vereinsräume in der ehemaligen Zigarrenfabrik und durch die Erschließung des großen Neubaugebietes Schmalzgrube begann St. Ilgen zu wachsen. Unter persönlicher Mithilfe des damaligen katholischen Pfarrers Mehlmann konnte in Rekordzeit die Kurpfalzhalle gebaut werden. Das damals "von Mann zu Mann" gelöste Grundstücksproblem ist offiziell heute noch nicht ganz beseitigt, aber die Halle steht und wird seit 27 Jahren intensiv genutzt. Damit waren eigentlich meine Ziele als Gemeinderat erreicht und ich hätte eigentlich die durch die Mandatsausübung benötigte Zeit in meine Berufstätigkeit als Selbständiger oder in meine Freizeit mit und für die Familie investieren können. Zwischenzeitlich aber hatte unsere Landesregierung die damals als Jahrhundertwerk gepriesene Kreis- und Gemeindereform zum Abschluß gebracht und damals mit der Brechstange aus Leimen, der ehemals reichen, stadtnahen Gemeinde und dem armen Eisenbahnerdorf St.Ilgen eine Gemeinde gemacht, räumlich getrennt durch die neue Bundesstraße 3 und einen breiten Grünzug, Leimen von der Straßenbahn erschlossen und überörtlich angebunden, St.Ilgen von der ehemaligen Bundesbahn. St.Ilgens Bevölkerung resignierte; weder ein Sportverein, noch ein Kulurverein fusionierte mit seinem Pendant im anderen Stadtteil - und es erwies sich als politisch nicht durchsetzbar, die Feuerwehren beider Ortsteile zusammenzulegen. Aber offiziell und in allen Sonntagsreden wird seit 27 Jahren von der großartig gelungenen Integrationsleistung gesprochen und von den gleichwertigen Investitionserfolgen in allen Ortsteilen. Das ehemalige Eisenbahnerdorf St.Ilgen wurde auf diese Weise Stadt und Große Kreisstadt und hat mit dem Ortsteil Fasanerie inzwischen praktisch genau so viele Einwohner wie Leimen-Mitte - aber kaum ein St.Ilgener weiß dieses Glück angemessen zu schätzen und zu bejubeln. Die drei oder zeitweise vier SPD-Gemeinderäte aus St.Ilgen fühlten sich zeitweise wie eine Art Nachlaßverwalter des untergegangenen St.Ilgen in dem Stadtrat von Leimen, in welchem sie nicht einmal 10 % der Mitglieder stellten. Zuletzt wurde dies deutlich bei der Debatte über die Abschaffung der unechten Teilortswahl, der Stadtteilbeiräte und der geplanten Verkleinerung des Gemeinderates. Lassen Sie mich zurückkommen auf meine Anfangsbetrachtung: ein politisches Mandat birgt die Chance zur Macht, zur Gestaltung, zur Veränderung, wen eine Mehrheit erreichbar ist. Um diese Mehrheit hat die SPD immer gekämpft, mit Vorschlägen, mit Ideen, mit Anträgen und mit Argumenten. Was wir erreicht haben, ist allen Zuhörern bekannt. Bei der vorletzten Gemeinderatswahl vor rund 7 Jahren habe ich im "durchblick" unserem Kommunalwahlprospekt meinen Wählern schon ein Wort von Bert Brecht mitgegeben, das mich persönlich sehr berührt hat, als ich es seinerzeit im Bert-Brecht-Museum in Augsburg als Wandspruch gelesen habe: Was an dir Berg war, haben sie geschleift
Meine Wähler haben es nicht ernst genommen, ich wurde wiedergewählt. Dann stand das altersbedingte Ende der Amtszeit Herbert Ehrbars an und ich sah mich als Fraktionschef der beide SPD-Ortsvereine übergreifende Gemeinderatsfraktion in der Pflicht, einen Kandidaten für seine Nachfolge zu suchen und zu finden und ich glaubte, ich brauche das Gewicht dieses Amtes, beide Ortsvereine auf einen Kandidaten einzuschwören und ich machte mich zeitig auf die Suche, weil ich die fixe Idee hatte, die sich dann aber als falsch erwiesen hat - daß Herbert Ehrbar einige Monate vor dem Ende seiner Amtszeit zurücktritt und ganz kurzfristig Neuwahlen anstehen. Ich wollte mich nicht übertölpeln lassen und war glücklich, im April 1999 mit Wolfgang Ernst über seine Kandidatur einig geworden zu sein. Bis Januar 2000 wußten nur eine Handvoll Menschen hiervon und daß dies geheim bleiben konnte, war einer meiner größten politischen Erfolge im Jahr 1999. Am 9. April 2000 wählte Leimens Bevölkerung Wolfgang Ernst gegen ernst zu nehmende Konkurrenz zum neuen Oberbürgermeister Leimens. Bei der kurz zuvor stattgefundenen Gemeinderatswahl schrieb ich als persönliches Wahlziel im "durchblick", ich wolle dem künftigen Oberbürgermeister mit meiner Erfahrung in den ersten Monaten seiner Amtsführung ein hilfreicher Informant und Ratgeber sein und ich wolle Leimen neben der Sport-, Wein- und Europastadt zur Kulturstadt machen. Meine Wähler haben mir nochmal ein Mandat im Gemeinderat erteilt. Nun aber hat Wolfgang Ernst meine historischen Erfahrungen mit und im Gemeinderat nicht mehr nötig und da Leimen keinerlei Geld mehr für freiwille Aufgaben hat, zu denen die Kulturförderung zählt, wird es wirklich allerhöchste Zeit, sich nach einem Drittel Jahrhundert Gemeinderatstätigkeit daran zu erinnern, daß die Demokratie Mandate auf Zeit vergibt und keine Erbhöfe. Bruno Gärtner, bis vor kurzem langjähriger Bürgermeister von Dielheim, sagte bei seinem Abschied: Füge Dich der Zeit, erfülle deinen Platz.
Damit komme ich zu Karlheinz Wagner, der mein Mandat fortführt: Ortsvereinsvorsitzender mit langjähriger Erfahrung, wie ich einstmals, Jurist von Beruf, den er auch tatsächlich ausübt - und nicht unerfahren in der Gemeinderatstätigkeit, politisch sehr engagiert, im Vereinsleben tief verwurzelt und perönlich sehr redegewandt. Kann ich mir einen besseren Nachfolger wünschen? Gemeinderäte in anderen Fraktionen scheinen da enorme Schwierigkeiten zu haben. Bei uns habe ich Donnerstags meine letzte Sitzung absolviert und Karlheinz Wagner am folgenden Dienstag seine erste Sitzung. Damit kann die Partei und die Fraktion zufrieden sein. Auch wenn der eine oder andere schon verstohlen gähnt, gestatten Sie mir, daß ich noch ein paar Sätze anhänge, es ist ja nun definitiv meine letzte Rede und bei der Verleihung des Ehrenringes an mich im Gemeinderat habe ich ja schon gesagt, daß ich heute bei dieser Parteiveranstaltung mein Resümee nach fast 34 Jahren Gemeinderatstätigkeit ziehen werde: Ich danke allen, die mich in diesen 33 Jahren nicht nur ertragen, sondern unterstützt und begleitet haben.Ich danke den Mitgliedern in beiden Ortsvereinen, die mir vertraut haben und mir auch noch Gefolgschaft leisteten, ich danke meiner Fraktion, die mich stets wissen ließ, daß sie nicht unter einem Vorsitzenden leidet und gegängelt wird, sondern es geschätzt hat, einen Fraktionssprecher zu haben, der die Mehrheitsmeinung nach außen vertritt, auch wenn es nicht seine eigene war. Ich danke ganz besonders meinem Nachfolger als Fraktionssprecher, Herrn Dr. Peter Sandner, der es immer abgelehnt hat, gegen mich um den Fraktionsvorsitz zu kandidieren und für den es niemals ein Problem war, daß der Fraktionssprecher aus dem deutlich kleineren Ortsverein und dem jenseits der B3 gelegenen Ortsteil stammt und der es dem Rest der Fraktion als keineswegs ehrenrührig verkaufte, daß alle Fraktions- sitzungen unter meiner Leitung im Albert Kübler Saal in ST.ILGEN stattgefunden haben. Ich danke ganz besonders meiner Fraktionskollegin Brigitte Balzer, die mich immer, wie eine gute Sekretärin, außerhalb der Sitzungen an Termine, an Anstandspflichten, an fällige Besuche erinnert hat, die sich auch trotz aller Emanzipation als Frau nie zu schade war, uns in jede Fraktionssitzung saubere Gläser mitzubringen und sie gebraucht zum Spülen wieder mitzunehmen und die mir sehr viele wichtige Hinweise und Hintergrundinformationen vermittelte, die ich als Zugereister und überdies auswärts Berufstätiger aus eigener Anschauung nicht haben konnte. Brigitte Balzer war es auch, die mich nicht selten nach deprimierenden Abstimmungsniederlagen wieder aufgerichtet hat mit ihren oft auch etwas derben, aber immer treffend Kommentaren und Ansichten. Ich will aber auch an dieser Stelle öffentlich Dank sagen meiner Frau und unseren Söhnen, die in 34 Jahren nicht einmal gemotzt haben wenn ich zu einer Sitzung ging, von dieser später als erwartet zur gekommen bin und wenn ich samstags und sonntags stundenlang im Keller an meinem Schreibtisch saß, Fraktionssitzungen, Ausschußsitzungen oder Gemeinderatssitzungen vorzubereiten und sie am Jahresende dann allenfalls mal 10 % der Sitzungsgelder zur persönlichen Verschwendung bekam, wenn sie sich das ganze Jahr meist allein vergnügen mußte, wenn andere "in Familie machen konnten". An dieser Stelle nochmals danken möchte ich meiner Fraktion für die überreichlichen Abschiedsgeschenke - trotz Streichung der Fraktionpauschale. 12 Karten für die Landesbühne werden mich sicher zwei Spielzeiten lang an diese Gabe erinnern. Zwar war ich inzwischen schon in Sinsheim in Maria Stuart, aber da hatte ich schon vorher die Karten besorgen lassen. Besonders genießen werde ich künftige Dienstage im Thermarium. Ich war erst zwei Mal in den letzten Jahren dort; mir war der Eintritt zu teuer und ich wich aus in die Sigel-Therme Langenbrücken, wo es mit Ausweis der Rheuma-Liga nur 2 Euro 5o kostet - mit Wassergymnastik. Nun aber kann ich l. Klasse ins Thermarium in Mingolsheim: vielen,vielen Dank! Danken möchte ich auch nochmals für Peters Abschiedsrede im Gemeinderat, die sehr persönlich und sehr herzlich war und mit diesem wunderschönen, garade für mich so passenden Gedicht endete. Für einen, der einmal als Wahlziel die Förderung der Kultur auf seine Fahnen schrieb, gehört es sich, nun seine Rede auch mit wohlgesetzten Worten eines Litaraten zu schließen. Meinen letzten großen Auftritt als Gemeinderat vor größerer Öffentlichkeit hatte ich vor gut 2 Jahren in der Festhalle in Leimen, als ich Wolfgang Ernst den Diensteid abnehmen und ins Amt des Oberbürgermeisters einführen durfte, wie man so schön sagt. Er stellte seine Ansprache damals unter das Dichterwort Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Diese Zeilen stammen aus einem Gedicht von Hermann Hesse, dem 1962 verstorbenen Autor des Steppenwolfes oder des Glasperlenspiels. Angeblich ist er der meistgelesene Autor des 20. Jahrhunderts. Er erhielt 1946 den Nobel-Preis, das ist aber schon lange her. Überraschenderweise findet man seit 5 - 7 Jahren eine Flut von Hesse Ausgaben in den Buchhandlungen in Ungarn. Vor allem junge Ungarn lesen und lieben Hesse. In einem Feuetton-Beitrag wird das so erklärt: In einer Zeit, in der menschliche und ethische Werte relativiert werde wo Traditionen, alte Verhaltensweisen nicht mehr gültig sind, bietet Hesses Haltung einen Weg, das Leben zu meistern und mit der neuen Herausforderung fertig zu werden. In dieser Zeit zunehmender Desorientierung verbinden sich in Hesses Werk Ethik und Ästhetik, Tradition und Moderne mit einem zukunftsoffenen Weltbild. Hesses übernationale, die unterschiedlichsten Kulturen und Konfessionen integrierende Haltung fördert jene zivilisatorischen Gemeinsamkeiten, die in einer Zeit der Globalisierung unentbehrlich sind. Hesse-Lektüre sei auch uns Deutschen anempfohlen,er trifft nicht nur die Situation der Menschen in Ungarn nach der Wende. Und so meine ich, paßt dieses Gedicht von Hermann Hesse - es heißt übrigens STUFEN - nicht nur zum Neuanfang von Wolfgang Ernst als Oberbürgermeister. Wenn man noch ein paar Zeilen davor und ein paar Zeilen dahinter mitliest, paßt es auch zum Abschied eines Altgemeinderates nach einem Drittel Jahrhundert: Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Hans-Henning Mohring |