Wahlprogramm 1999 - Kommunale (Selbst-) Verwaltung

Unter der Ägide des neu zu wählenden Gemeinderats schreitet unsere Stadtverwaltung ins nächste Jahrhundert und agiert wie alle öffentlichen Verwaltungen teilweise unter Rahmenbedingungen und in Strukturen, die anmuten, als stammten sie noch aus dem letzten Jahrhundert.

Der kommunale Selbstverwaltung leidet auf der einen Seite darunter, dass sich immer weniger BürgerInnen in der Kommunalpolitik engagieren und an öffentlichen Aufgaben in unserer Stadt mitwirken wollen. Auf der anderen Seite wächst die Kritik der BürgerInnen an den getroffenen Entscheidungen und am Zustand kommunaler Einrichtungen, insbesondere dann, wenn sie unmittelbar von Entscheidungen betroffen sind oder auf kommunale Einrichtungen angewiesen sind. Diesem Trend gilt es entgegen zu wirken.

Allen kommunalen Verwaltungen werden oft negative Attribute angelastet - langsam und inflexibel, ineffizient und verschwenderisch, bürgerfern und sogar bürgerfeindlich. Sie ist so um zu bauen, dass sie sich flexibel, effizient und kostenbewußt, bürgernah und bürgerfreundlich verhält. Bei dieser Aufgabe allein auf Regelungen des Gesetzgebers zu warten, ist nicht der richtige Weg. Wir müssen schon jetzt unsere eigene kommunale Verwaltung so verändern, dass sie sich auf die obigen Ziele zu bewegt.

Bisher wurden in der Verwaltung Aufgaben von oben herab delegiert, um dann unten ausgeführt zu werden. Im Haushaltsplan wurden die Mittel zur Erfüllung der Aufgaben im einzelnen festgelegt; in unzähligen V erwaltungsvorschriften wurden die Verfahrensschritte bis ins einzelne akribisch geregelt. Die auszuführenden Mitarbeiter sind gehalten, genau nach diesen Regelwerk zu handeln Œ selbst wenn nach gesundem Menschenverstand unsinnige oder nach wirtschaftliche n Überlegungen ungünstige Ergebnisse die Folge sind. Zukünftig benötigen wir ein System, das eigenverantwortliche Entscheidungen an der Basis nicht nur gestattet, sondern diese sogar fördert, und zu besonderen Leistungen anreizt.


Wie können wir die Strukturen unserer kommunalen Selbstverwaltung verbessern?

Wie können wir unsere kommunale Verwaltung fit machen fürs nächste Jahrhundert?

    Für unsere kommunalen Selbstverwaltung benötigen wir

  1. eine höhere Beteiligung der BürgerInnen an kommunalen Entscheidungen und
  2. eine effizientere Arbeit in den kommunalen Selbstverwaltungsgremien.
  3. In unserer Stadtverwaltung brauchen wir

  4. das Steuerungsinstrument der dezentralen Ressourcenverantwortung und
  5. das Führungsinstrument der Leistungsanreize.

1. Bürgerbeteiligung

Wir treten für eine größere Beteiligung der BürgerInnen unserer Stadt an den kommunalen Entscheidungen ein. Wir sind offen für neue Formen dieser Beteiligung und wollen alte, ineffiziente Mitspracheformen nicht länger fortführen.

So finden wir die Ortsteilbeiräte in ihrer jetzige Form alsr ü berflüssig. Zwar ist es richtig, daß der Gemeinderat bei seinen Entscheidungen das Urteil vieler sachverständiger Bürger einbeziehen sollte. Das setzt allerdings voraus, daß dieses Urteil vor der Entscheidung eingeholt wird und dem Gemeindeart auch die unterschiedlichen Auffassungen vorgetragen werden. Wenn - wie es bei uns geschieht - die Ortsteilbeiräte nur nach Gutdünken des OB um ihre Meinung gefragt werden Œ und oft sogar nur, nachdem eine dem OB nicht genehme Entscheidung im Gemeinderat gefallen ist, dann haben die Ortsteilbeiräte ihren Zwecke verfehlt. Dann dienen sie nämlich nicht dazu, eine möglichst breite Basis von Auffassungen für eine Entscheidung einzuholen, sondern werden zu einem Instrument des OB degradiert. Hierfür ist uns die für diese Gremien aufgewendete Zeit zu schade sowohl die Zeit der Mitglieder des Gremiums als auch die der Bediensteten der Stadt, die diese Sitzungen vorbereiten und nachbereiten müssen.

Wir begrüßen dagegen neue Beteiligungsformen der BürgerInnen an kommunalen Entscheidungen unabhängig davon ob sie einem Gremium angehören oder nicht. Hierzu könnten z.B. die Bürgerversammlungen nicht in starrem Rhythmus abgespult werden, sondern es sollten themenbezogene Versammlungen anberaumt werden, in denen über besondere wichtige Entscheidungen offen diskutiert werden kann.

Auch den Einsatz neuer Medien sehen wir als Chance, die Beteiligung der Bürger zu erhöhen. Hier bietet sich die Möglichkeit, alle kommunalen Entscheidungsprozesse stets aktuell für interessierte Bürger darzustellen und ihre Meinungen, Wünsche und Vorschläge auf elektronischem Weg entgegenzunehmen. Dies könnte die Beteiligung - zumindest der jüngeren, im Umgang mit den neuen Medien geübten Generation erhöhen. Allerdings reicht hierfür die Einrichtung einer E-Mail-Adresse für die Stadtverwaltung nicht aus. Dass auch die Bürgernähe durch den Einsatz neuer Medien beträchtlich gesteigert werden kann, zeigt uns das Beispiel anderer Städte, in denen vielfach Anfragen und Anträge elektronisch eingereicht werden können.

2. Gremienarbeit

Wir wollen die Arbeitsweise des Gemeinderats und die der von ihm eingesetzten Ausschüsse und Beiräte so effizient wie möglich gestalten. Auch hier sind wir für neue Formen, die eine konstruktive und effiziente Arbeit in diesen Gremien ermöglichen.

Ungünstig finden wir das Fehlen eines Ältestenrats, der nach unserer Überzeugung wesentlich dazu beitragen kann, die Sitzungen des Gemeinderats zu planen und vorzubereiten. Selbst in der örtlichen Presse wird nun schon seit geraumer Zeit der Zustand persifliert, der in unseren Gemeinderatssitzungen mit schöner Regelmäßigkeit auftritt und darin besteht, daß ein erklecklicher Anteil der Tagesordnungspunkte vertagt werden muß. Dies gilt es abzustellen und ein Ältestenrat ist das geeignete Gremium hierfür.

Der Entlastung des Gemeinderats sollte ein beschließender Finanzausschuss dienen, der regelmäßig alle anstehenden Vergaben, Verkäufe etc. beschließt, die eine bestimmte Summe (z.B. DM 150.000) nicht übersteigen. Über ein Quorum, das dem des Bauausschusses ähnelt, ließe sich dann dennoch jede einer Fraktion kritisch erscheinende Angelegenheit in den Gemeinderat bringen.

Generell gilt es, die Art und Weise, in der viele Tagesordnungspunkte in mehreren verschiedenen Ausschüssen vorberaten werden, ehe sie abschließend im Gemeinderat zur Entscheidung anstehen, kritisch zu überdenken. Es ist zwar gut, möglichst viele Meinungen zu hören, aber sehr ermüdend, immer wieder dieselben zu hören.

3. Dezentrale Ressourcenverantwortung

Wir wollen durch eine dezentrale Verantwortung für Budgets und Ressourcen die eigenverantwortliche Entscheidung möglichst vieler Mitarbeiter an der Basis nicht nur gestatten, sondern fördern. Nur so erreichen wir eine effiziente und effektive Verwaltung.

Das Modell der dezentrale Ressourcenverantwortung heißt, daß der Gemeinderat nicht mehr bis in alle Einzelheiten Entscheidungen vorgibt, sondern jedem Verwaltungsbereich ein globales Budget vorgibt, innerhalb dessen die zugewiesenen Aufgaben erfüllt werden sollen. Wie das Budget dann verwendet wird, ist im wesentlichen in der Entscheidung der Bediensteten im Verwaltungsbereich.

Der Gemeinderat muß sich darüber im klaren sein, daß er mit diesem Vorgehen auf Entscheidungsbefugnisse und Einflußmöglichkeiten verzichten muß. Ihm bleibt nur die mehr oder minder pauschale Kontrolle über die Verwendung der zugewiesenen globalen Budgets. Zudem fällt ihm die Aufgabe zu, die Verwaltungsbereiche sinnvoll zu definieren, zu dürfen weder zu groß (nicht die gesamte Verwaltung) noch zu klein (kein einzelner Bediensteter) bemessen sein, um ihren Zweck zu erfüllen.

Es ist klar, daß ein solches Modell am einfachsten in wirtschaftlich orientierten Aufgabenbereichen wie Wohnungswesen o.ä. oder aber in Bereichen, die freiwillige Leistungen der Gemeinde erbringen, wie der Vereinsförderung umzusetzen ist. Dort sind die Leistungen betriebswirtschaftlich bewertbar oder aber variabel gestaltbar. Schwieriger wird es sicher im hoheitlichen Bereich, wie dem Standesamt oder Grundbuchamt, wo die zu erbringenden Leistungen von Gesetz wegen vorgeschrieben sind, und den Bediensteten keine Gestaltungsspielräume bleiben. Daher sollten wir stufenweise vorgehen und bei den erstgenannten Bereichen Erfahrungen sammeln, die dann später auf die anderen Bereiche übertragen werden können.

4. Leistungsanreize

Wir wollen durch neue Formen der Entlohnung und andere Vergünstigungen zu besonderen Leistungen anreizen, die ein verstärkt wirtschaftliches und kundenorientiertes Arbeiten unserer Verwaltung nach sich ziehen.

Leistungsanreize könnten z.B. so gestaltet sein, dass in einem Aufgabenbereich Zulagen bezahlt werden, die sich am Globalbudget bemessen. In Bereichen, in denen besonders sparsam gewirtschaftet wird, fallen die Zulagen besonders hoch aus. Auch könnten Leistungsanreize nicht nur in Geld, sondern auch in zusätzlicher Freizeit oder Urlaub bestehen, wobei die Alternativen vom Mitarbeiter wählbar sein sollten. Es ist klar, daß der gegenwärtige BAT-Tarifvertrag und das Beamtenrecht einer solchen Ausrichtung manchen Stein in den Weg legt, dennoch sollte der Gemeinderat und der Oberbürgermeister alle schon jetzt erlaubten Möglichkeiten ausschöpfen, die Regelungen extensiv auslegen und seine Phantasie einsetzen.

Auch hier gilt natürlich das schon oben bei der Ressourcenverantwortung gesagte. Einfach ist die Definition der Leistungsanreize sicher in den freiwilligen oder wirtschaftlich orientierten Bereichen, schwieriger in den hoheitlichen. In den ersten Fa¨llen ist die Einhaltung bzw. das Unterschreiten des vorgegebenen Globalbudgets sicher einfacher zu steuern als im letzten Fall. Dennoch müssen auch in diesen Bereichen neben den gesetzlichen nach wie vor auch gewisse "politische" Ziele vorgegeben werden, und nur innerhalb von diesen kann der Verwaltungsbereich seinen Entscheidungsspielraum nutzen. Der Gemneionderat ist aufgefordert, diese Richtlinien und Ziele zu definieren.

Und auch die (kostenlosen) Leistungsanreize sollten nicht vergessen werden - die Motivation der MitarbeiterInnen durch ihre Vorgesetzten. Ein kooperativer nicht auf Anweisungen, sondern auf Überzeugung beruhender - Führungsstil und die der Anerkennung der Arbeit durch die Vorgesetzten sind hier zu nennen. Auch hier kann in Leimen einiges verbessert werden. Ein Oberbürgermeister, der in öffentlicher Sitzung die von seinen Mitarbeitern und MitarbeiterInnen vorgelegten Unterlagen, die von ihnen durchgeführten Planungen oder die von ihnen getroffenen Entscheidungen unüberhörbar kritisiert, ja sogar an den Fähigkeiten seiner MitarbeiterInnen starke Zweifel anmeldet, trägt wohl kaum zur Motivation seiner MitarbeiterInnen bei. Er sorgt für Demotivation aller seiner MitarbeiterInnen, nicht nur der kritisierten!

Dr. Peter Sandner